Das Mehrwertsteuer-Digitalpaket ist die größte Umsatzsteuer-Reform der jüngeren Geschichte Europas. Der Grund für die Maßnahme: Beim zunehmenden grenzüberschreitenden Warenverkehr über den Online-Kanal sind Europas Zoll- und Finanzbehörden mit ihren bisherigen Mitteln schlichtweg überlastet. Durch zahlreiche Steuer-Schlupflöcher für Online-Händler entgingen dem Fiskus laut EU-Kommission geschätzte 50 Milliarden Euro pro Jahr. Mit der Modernisierung der Mehrwertsteuer-Regelungen möchte die EU den Steuerbetrug bekämpfen. Doch sie stellt Unternehmen wie Verbraucher vor eine Reihe an Herausforderungen.
22-Euro-Freigrenze entfällt
Warenlieferungen aus Drittländern bis zu einem Wert von 22 EUR sind seit 1. Juli nicht mehr von der Einfuhrumsatzsteuer befreit. Verbrauchern wird die Steuer ihres Landes auf die Produkte aufgeschlagen. Kunden aus Deutschland zahlen hier nun 19 % oder beim ermäßigten Steuersatz 7 % drauf.
Auch Online-Händler aus Drittländern, die Waren in die EU verkaufen, haben jetzt einen Mehraufwand. Sie müssen sich bei der dafür zuständigen Steuerbehörde registrieren und ihre Umsätze nach den jeweiligen Sätzen versteuern.
EU-Steuerpflicht schon ab 10.000 EUR Gesamtumsatz pro Jahr
Seit in Kraft treten, sind Online-Händler mit Sitz in einem EU-Land bereits bei einem EU-weiten Waren-Liefervolumen ab 10.000 EUR steuerpflichtig. Damit sind die alten Lieferschwellen der einzelnen Länder bei Fernverkäufen obsolet. Bei Warenlieferungen muss der Online-Händler die Steuersätze des Bestimmungslandes anwenden. Das hat zur Folge, dass es zu unterschiedlichen Endverbraucherpreisen mit einer Differenz von teilweise 10 % kommt (Luxemburg 17 % vs. Ungarn 27 % MwSt.) Von einer Vereinheitlichung ihrer Umsatzsteuern sind die 27 EU-Staaten noch meilenweit entfernt.
Doch trotz der damit verbundenen Mehraufwände hält Ralph Brügelmann, Steuerexperte des Handelsverbands Deutschland, diese Regelungen für fair, besonders mit Blick auf Fernost. Der Süddeutschen Zeitung gegenüber sagte er: „Wir denken, dass die Verbraucher die zum Teil etwas höheren Preise akzeptieren sollten. Denn sie garantieren einen fairen Wettbewerb“. Iwona Husemann prognostiziert bezüglich Verbrauchern gegenüber dem WDR: „Viele wird das überraschend und kalt erwischen“, so die Juristin bei der Verbraucherzentrale NRW. Schließlich seien die Kunden überhaupt nicht vorbereitet gewesen.
Einen zusätzlichen Aspekt nennt André Schwarz, Sprecher des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA) ebenfalls in der Süddeutschen Zeitung: „Alle Produkte müssen mit den Steuersätzen der Bestimmungsländer versehen werden, hierin besteht ein erheblicher manueller Aufwand“. In Bezug auf bereits getätigte Bestellungen fürchtet er: „Die große Gefahr besteht hier darin, Umsatzsteuernachforderungen aus der eigenen Tasche zahlen zu müssen“.
Änderungen auch für Drittländer: Amazon & Co. zahlen Steuern
Seit 1. Juli müssen Plattform-Betreiber wie Amazon oder eBay die Mehrwertsteuern für ihre Händler aus Drittstaaten wie China, die USA oder das Vereinigte Königreich einbehalten und direkt an die Finanzbehörden der Zielländer abführen. Damit sind in diesem Fall die Plattform-Betreiber und nicht die einzelnen Kleinhändler steuerpflichtig.
Die Logistiker lassen sich ihre Abwicklung seit 1. Juli (nun auch für Sendungen unter 22 EUR Warenwert, welche bisher steuerfrei mit einer mündlichen und überwiegend kostenlosen Anmeldung beim Zoll angemeldet wurde) mit einer Servicepauschale vergüten. Dafür verlangt DHL derzeit 6 EUR. Dies gilt auch für Waren, die vor diesem Datum bestellt wurden, aber erst ab 1. Juli beim deutschen Zoll eintreffen. Große Logistikkonzerne wie die Deutsche Post oder DHL warnen Verbraucher vor „bösen Überraschungen“. Übersteigt der Wert der Warensendung 150 EUR, fallen neben Steuern und Servicepauschale auch Importzölle und höhere Verzollungsgebühren an, die ebenfalls bei den Verbrauchern erhoben werden.
Vermeintliche Schnäppchen können zur Kostenfalle werden
Billigartikel wie Handyhüllen aus China könnten bis zu 80 Prozent teurer werden. Eine Beispielrechnung: Für ein 10 EUR teures Produkt entfällt die 22-Euro-Schwelle. Es wird beim Import nach Deutschland nach dem deutschen Satz von 19 Prozent steuerpflichtig, kostet den Käufer also 11,90 EUR. Hinzu kommt die neue Servicepauschale für die digitale Zollanmeldung wie 6 EUR bei DHL. Macht einen Endverbraucherpreis von 17,90 EUR.
Durch das Steuer- und Gebühren-Chaos werden die Preise für die Produkte in den Onlineshops möglicherweise falsch oder unvollständig dargestellt. Denn erst bei Erhalt der Lieferadresse können die Shops die jeweils aufzuschlagenden Zusatzkosten anzeigen. Die Zusatzkosten werden somit kaum transparent sichtbar. Verbraucherschützer warnen vor „Verwirrung für die Käufer“, so das Portal businessinsider.de.
Mögliche Auswirkungen des Mehrwertsteuer-Digitalpakets
Die neue Steuerpflicht der Plattform-Betreiber könnte viele Kleinhändler aus Drittländern dazu veranlassen, Amazon und eBay den Rücken zuzukehren und auf schwer zu kontrollierende Billigprodukt-Plattformen wie Wish aus den USA oder Joom aus Osteuropa auszuweichen. Einer anderen Befürchtung der Branche zufolge bewerben sie ihre Produkte auf Social-Media-Kanälen wie Facebook oder Instagram und verkaufen die Ware über Webshops außerhalb der EU. Möglicherweise verpufft auf diese Weise die Wirkung des Mehrwertsteuer-Digitalpakets.
„Der Endverbraucher ist preisgetrieben“, wie Birgit Janik vom Bundesverband E-Commerce und Versandhandel (bevh) in der WirtschaftsWoche konstatiert. Wenn ein Produkt aus einem Drittland ohne Steuern günstiger sei, stünden Gewinner und Verlierer meist fest, so die Expertin. Die Verlierer: Online-Shops in der EU.