Ein Spiegelbild des Verbraucherverhaltens
Klüssendorf argumentiert, dass die Mehrwertsteuer, als zentrale Verbrauchsteuer, auf dem tatsächlichen Konsum der Menschen basieren sollte. „Unser System ist veraltet und muss geändert werden“, sagte er in einem LinkedIn-Post. „Die gleiche steuerliche Behandlung von Milch und Milchersatzprodukten ist längst überfällig, denn sie entspricht längst den sozialen Realitäten und stellt die Menschen in ihrem Konsumverhalten auf eine gleiche Stufe.“
Ende des Steuer-Wirrwarrs
In der Welt der Steuern gibt es oft Kuriositäten, die selbst den fachkundigsten Steuerexperten ins Grübeln bringen könnten. Nehmen wir das Beispiel Kaffee, ein Getränk, das in zahlreichen Varianten von Millionen von Menschen täglich konsumiert wird.
Ein zubereiteter schwarzer Kaffee oder ein Kaffee mit einem kleinen Schuss Kondensmilch wird in Deutschland mit 19 % besteuert. Gleiches gilt für einen Milchkaffee, bei dem das Verhältnis von Kaffee zu Milch etwa 50/50 beträgt. Doch wehe dem, der sich einen Cappuccino oder einen Latte macchiato gönnt, bei dem der Milchanteil bei 75 % bzw. 80 % liegt: Hier sinkt der Mehrwertsteuersatz plötzlich auf 7 %. Umsatzsteuerlich gelten diese Getränke mit mind. 75 % Milchanteil nicht mehr als Kaffeezubereitungen, sondern als Milchmischgetränke. Die Sache wird noch komplizierter, wenn man pflanzliche Milchalternativen in Betracht zieht. Ein Cappuccino oder Latte macchiato mit Soja- oder Haferdrink? Das schlägt wieder mit 19 % zu Buche.
Diese fiskalische Zwickmühle wirft nicht nur Fragen zur Logik und Konsistenz der Steuerpolitik auf, sondern spiegelt auch die Herausforderungen wider, die sich aus den sich ändernden Konsumgewohnheiten ergeben.
Milch vs. „Drink“: Die Sprachdebatte
In Deutschland ist die Bezeichnung „Milch“ gesetzlich geschützt und darf nur für das Erzeugnis aus der Eutersekretion von Tieren verwendet werden. Dies geht auf den Anhang VII der EU-Verordnung Nr. 1308/2013 zurück, die den Begriff „Milch“ ausschließlich für das „Erzeugnis der normalen Eutersekretion“ von Tieren wie Kühen, Ziegen und Schafen reserviert. Pflanzliche Alternativen aus Soja, Hafer oder Mandeln dürfen daher nicht als „Milch“ bezeichnet werden. Stattdessen müssen sie als „Drink“ oder „Alternative“ gekennzeichnet sein. Diese Regelung hat in der Vergangenheit für Kontroversen gesorgt, insbesondere im Kontext der steigenden Popularität von pflanzlichen Milchersatzprodukten. Befürworter der Regelung argumentieren, sie schütze Verbraucher vor Verwirrung und gewährleiste die Qualität von Milchprodukten. Kritiker sehen darin jedoch eine unnötige Einschränkung, die innovative und nachhaltige Produkte benachteiligt.
Ökologische und wirtschaftliche Überlegungen
Laut einem Bericht von ProVeg International trinken bereits 28 % der Deutschen mindestens einmal pro Woche pflanzliche Milch. Zudem fand das Good Food Institute (GFI) Europe heraus, dass Deutschland den höchsten Absatzwert für pflanzliche Milch in Europa hat. Hönel unterstrich die ökologischen Vorteile: „Haferdrinks benötigen beispielsweise über 11-mal weniger Land, verbrauchen 13-mal weniger Wasser und emittieren 3,5-mal weniger Treibhausgase als Kuhmilch“, basierend auf einer Studie der Oxford University von 2018.
Haushaltsbedenken und politische Realitäten
Trotz der Unterstützung von SPD und Grünen gibt es Bedenken hinsichtlich der Haushaltsauswirkungen. Till Mansmann, der Mehrwertsteuerexperte der FDP, mahnte zur Vorsicht: „Wir müssen erst die Steuerschätzung abwarten und auf dieser Basis Entscheidungen treffen.“ Das Deutsche Wirtschaftsinstitut (IW) schlug sogar vor, die Mehrwertsteuer für alle nicht-alkoholischen Getränke auf 7 % zu senken.
Gesellschaftlicher Wandel
Eine Studie der Universität Hohenheim zeigte, dass Deutschland das größte Marktpotenzial für pflanzliche Milch in Europa hat. Dies wird durch eine starke Haltung zum Tierschutz angetrieben. Deutschland zählt zudem die größte Flexitarier- (55 %) und Veganer-Bevölkerung (ca. 10 %) in Europa, laut einem Bericht des USDA’s Foreign Agricultural Service.
Entsprechende Mehrwertsteuersätze in der EU
Während in Deutschland die Debatte um die Besteuerung von Milchersatzprodukten an Fahrt aufnimmt, zeichnen sich auch in anderen europäischen Ländern signifikante steuerpolitische Veränderungen ab.
Die Mehrwertsteuersätze für Lebensmittel, einschließlich Milch und Milchersatzprodukte, können in den EU-Mitgliedsstaaten erheblich variieren. Einige Länder bieten ermäßigte Mehrwertsteuersätze für wesentliche Lebensmittel an, während andere den Standard-Mehrwertsteuersatz anwenden. Diese Umsatzsteuersätze sind entscheidend für Verbraucher und Unternehmen, die im grenzüberschreitenden Handel innerhalb der EU tätig sind.
In Tschechien steht eine Konsolidierung der ermäßigten Steuersätze von 15 % und 10 % auf einen einheitlichen Satz von 12 % zur Diskussion. Die tschechischen Abgeordneten sollen den Entwurf im September beraten, was weitreichende Implikationen für den Konsum und die Wirtschaft des Landes haben könnte.
Parallel dazu plant Rumänien, eine Steuerreform in die Wege zu leiten, die sich auf Lebensmittel mit hohem Zuckergehalt fokussiert. Der neue Vorschlag sieht vor, den Steuersatz für Produkte, die mehr als 5 g Zucker pro 100 g enthalten, auf den Standardsteuersatz anzuheben. Diese Initiative könnte als Reaktion auf die steigenden Gesundheitsprobleme im Land interpretiert werden und stellt einen Paradigmenwechsel in der rumänischen Steuerpolitik dar.
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Fazit
Die Forderung nach einer Steuersenkung für Milchersatzprodukte oder nachhaltigen Produkten ist ein wichtiger Schritt in Richtung einer nachhaltigeren und gerechteren Gesellschaft, eine Bewegung, die u. a. durch Initiativen wie GreenVAT gefordert wird. Sie spiegelt nicht nur die veränderten Konsumgewohnheiten wider, sondern berücksichtigt auch die ökologischen und gesundheitlichen Aspekte. Die Zeichen stehen auf Veränderung, aber die endgültige Entscheidung hängt von verschiedenen Faktoren ab, einschließlich der bevorstehenden Steuerschätzung im Herbst.