E-Commerce, Newsroom, Umsatzsteuer | 13. November 2025

Flexibilisierung der EU-Mehrwertsteuersätze – Ende des Einheitssteuersatzes?

Die Reform der EU-Mehrwertsteuersystemrichtlinie ermöglicht deutlich flexiblere Steuersätze, einschließlich mehrfacher ermäßigter und sogar Nullsätze. Damit verliert der klassische Einheitssteuersatz an Bedeutung. Die neuen Spielräume eröffnen steuerpolitische Chancen, erhöhen aber auch die Komplexität für Unternehmen und Verwaltungen. von

Im Dezember 2021 hat der Rat der Europäischen Union (ECOFIN) eine Reform der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie beschlossen, die den Mitgliedstaaten deutlich mehr Spielraum bei der Festlegung nationaler Umsatzsteuersätze einräumt. Diese Änderung markiert eine der größten Neuausrichtungen der europäischen Umsatzsteuerpolitik seit Jahrzehnten – mit potenziell weitreichenden Folgen für Steuerpolitik, Wettbewerb und Nachhaltigkeit.

Was wurde beschlossen?

Mit der Richtlinie (EU) 2022/542 wurde die Mehrwertsteuerrichtlinie 2006/112/EG angepasst. Kern der Reform ist die Lockerung der bisherigen Vorgaben zu den Steuersätzen:

  1. Mitgliedstaaten dürfen nun bis zu zwei ermäßigte Steuersätze unter 15 % anwenden,
  2. zusätzlich einen reduzierten Satz unter 5 % oder sogar einen Nullsatz,
  3. und sie können frei entscheiden, auf welche Güter oder Dienstleistungen diese Sätze angewendet werden – solange diese in Anhang III der Richtlinie aufgeführt sind.

Damit fällt die strikte Trennung zwischen „Regelsteuersatz“ und „ermäßigtem Steuersatz“ zunehmend weg. Der bisherige Standardrahmen von 5 % bis 25 % wird durch eine artikelspezifische Flexibilisierung ersetzt.

Politischer Hintergrund

Der ECOFIN wollte den Mitgliedstaaten ermöglichen, Steuerpolitik gezielter als Lenkungsinstrument einzusetzen – etwa zur Förderung ökologisch nachhaltiger Produkte oder zur Entlastung sozial schwächerer Haushalte. Gleichzeitig sollten die neuen Freiheiten Missbrauch und Wettbewerbsverzerrungen verhindern: So müssen alle Staaten künftig sicherstellen, dass die Gesamtsystematik der Mehrwertsteuer haushaltsneutral und unionskonform bleibt.

Was bedeutet das für die Praxis?

Für Unternehmen und Verbraucher:innen könnten künftig stärkere Preisunterschiede innerhalb der EU entstehen – je nach nationaler Steuerpolitik. Während etwa nachhaltige Lebensmittel in einem Land mit 1 % besteuert werden könnten, bliebe in einem anderen der klassische Satz von 10 % oder mehr bestehen.

Auch für die Steuerverwaltung bedeutet die Reform einen Umbruch: komplexere Klassifikationen, mögliche Anpassungen von ERP-Systemen und neue Pflichten im grenzüberschreitenden Handel.

Fazit

Die Flexibilisierung der Mehrwertsteuersätze ist ein Paradigmenwechsel: Sie verbindet nationale Steuerautonomie mit europäischer Harmonisierung – ein Spagat, der neue politische Gestaltungsspielräume eröffnet, aber auch Risiken für die Einheit des Binnenmarkts birgt. Das „Ende des Einheitssteuersatzes“ ist damit eingeleitet – aber seine Folgen werden sich erst in den kommenden Jahren zeigen.