E-Commerce, Market Insights | 28. März 2023

Quick Commerce in Deutschland – nur ein Quickie?

Quick Commerce ist mittlerweile auch in Deutschland angekommen und hat sich etabliert. Endlich. Aber der Wind weht scharf im Lieferdienstgeschäft, denn es ist im wahrsten Sinne des Wortes schnelllebig und Anbieter, die gestern noch die Stars der Branche waren, sind morgen schon wieder Geschichte. Die derzeitige Entwicklung auf dem Quick-Commerce-Markt beleuchtet nachstehender Artikel. von

In der heutigen Zeit sind schnelle Lieferdienste wie Flink und Getir zu einer ernsthaften Alternative zum traditionellen Lebensmitteleinzelhandel geworden. Laut einer Umfrage der Unternehmensberatung Oliver Wyman greifen immer mehr Kunden auf die sogenannten Quick-Commerce-Anbieter zurück und lassen sich ihre Wocheneinkäufe bequem nach Hause liefern. Der harte Wettbewerb innerhalb der Branche zeigt aber auch, dass die Dienstleister bislang kaum Kundenbindung aufbauen konnten. Kunden achten nämlich in erster Linie auf Preis und Liefergeschwindigkeit, wobei sie mithilfe von Bestell-Apps diese Kriterien vor jeder Bestellung in Echtzeit vergleichen können.

Deutschland hat sich im Vergleich zu anderen europäischen Ländern wie Frankreich und den Niederlanden bei der schnellen Lieferung von Lebensmitteln einen Vorsprung erarbeitet. Wir sind führend im Discount-Segment und nehmen auch beim Quick Commerce eine Vorreiterrolle ein. Der durchschnittliche Warenkorb ist hier höher als anderswo, und die Kauffrequenz ist ebenfalls höher. Das zeigt, dass die Verbraucher hierzulande offen für innovative und praktische Lösungen im Lebensmitteleinzelhandel sind und diese dann auch gerne in Anspruch nehmen.

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Die zunehmende Beliebtheit von schnellen Lieferdiensten stellt den traditionellen Einzelhandel vor eine Herausforderung, bietet jedoch auch neue Chancen für den Wettbewerb und Innovationen. Kunden können ihre Lebensmittel nun schnell und bequem von zu Hause aus bestellen, ohne sich Sorgen um lange Warteschlangen oder Parkplätze machen zu müssen. Gerade während der Hochzeit der Pandemie griffen Verbrauchende einmal mehr auf Getir (damals noch „Gorillas“) oder Flink zurück.

Seit Mitte 2020 werben schnelle Lieferdienste wie die oben Genannten damit, dass Verbraucher ihren Lebensmittel-Einkauf innerhalb von Minuten erledigen können, ohne die Wohnung zu verlassen. Inzwischen gelingt es den sogenannten Quick-Commerce-Anbietern zunehmend, dem stationären Lebensmitteleinzelhandel Umsätze streitig zu machen. Laut einer Studie erledigen viele Kunden mit der Bestellung bei einem schnellen Lieferdienst schon einen beträchtlichen Teil des Wocheneinkaufs. Jens von Wedel, Partner bei Oliver Wyman, sagt: “Die Quick-Commerce-Anbieter haben überraschend schnell bewiesen, dass ihr Geschäftsmodell nicht nur Spontankäufe bedienen kann. Damit haben sie das Potenzial, sich zu einer ernsthaften Konkurrenz für Supermärkte zu entwickeln.”

 

Heavy User geben bis zu 39 % ihres Lebensmittelbudgets im Quick Commerce aus

Obst und Gemüse sowie Milchprodukte sind die am meisten bestellten Produkte bei Q-Commerce. Fertigprodukte spielen eine untergeordnete Rolle. Eine Umfrage unter 2.100 Q-Commerce-Nutzern aus Deutschland, Frankreich und den Niederlanden zeigt, dass knapp die Hälfte (47 %) der deutschen Kunden den Service zwei bis vier Mal im Monat nutzen. Acht Prozent nutzen den Lieferdienst mindestens fünf Mal im Monat. Jens von Wedel sagt: „Die Zahl der Heavy User ist hoch.“ Mehr als ein Drittel (36 %) der Nutzer geben an, dass sie 20 bis 39 Prozent ihres Budgets für Lebensmittel für Q-Commerce ausgeben.

Viele Kunden haben ihr Einkaufsverhalten spürbar umgestellt. Die Hälfte (50 %) der Befragten lässt sich regelmäßig von Flink und Co. sogar den kompletten Wocheneinkauf bringen. Das geht vor allem zulasten von Supermärkten oder Discountern. Mehr als die Hälfte (51 %) der Nutzer würde laut Erhebung auf den stationären Einzelhandel zurückgreifen, wenn es die schnellen Lieferdienste nicht geben würde. Nur 22 Prozent würden auf alternative E-Commerce-Anbieter im Food-Segment ausweichen, deren Modelle längere Bestellvorläufe vorsehen. Experten sprechen von Q-Commerce bei einer Lieferzeit von höchstens 30 Minuten.

Q-Commerce-Anbieter teurer als stationäre Händler

Schnelle Lieferdienste sind beliebt, doch oft ahnen Kunden nicht, dass sie für den Service mehr zahlen als im Supermarkt. Laut einer Umfrage halten 60 Prozent der Befragten die Quick-Commerce-Anbieter für vergleichbar teuer, oder sogar billiger als traditionelle Händler. Eine Analyse typischer Warenkörbe zeigt jedoch, dass die Kosten bei Anbietern wie Flink um fünf bis 16 Prozent höher liegen als im Supermarkt. Hinzu kommen noch Lieferkosten. Moritz Küntzler, Principal Handel und Konsumgüter bei Oliver Wyman, sagt: „Je geringer der Wert des Warenkorbs, desto stärker schlagen die Lieferkosten zu Buche.“ Trotzdem zeigen die Befragten eine hohe Toleranz für höhere Kosten. Für einen binnen 30 Minuten gelieferten Warenkorb im Wert von 20 EUR halten 41 Prozent einen Aufschlag von zwei Euro für gerechtfertigt. Weitere 34 Prozent akzeptieren sogar Mehrkosten von bis zu fünf Euro.

Deutschland hat eine höhere Kaufbereitschaft als Frankreich und die Niederlande, mit einem durchschnittlichen Q-Commerce-Warenkorb-Wert von knapp 31 EUR. Laut Küntzler hat Deutschland in diesem Bereich schon eine gewisse Reife erreicht. Der Marktanteil der Discounter liegt bei 40 Prozent und Deutschland ist somit auch ein Quick-Commerce-Land. Allerdings bedeutet das nicht automatisch eine höhere Kundentreue. Für Q-Commerce-Nutzer in Deutschland sind Preis und Liefergeschwindigkeit die wichtigsten Auswahlkriterien. Küntzler sagt: „Wer zum Zeitpunkt der Bestellung der schnellste ist und gute Angebote hat, bekommt den Zuschlag.“ Anbieter müssen weiterhin ihre Kostentreiber optimieren, um im Wettbewerb bestehen zu können.

Wirtschaftlichkeit ist wichtiger als Reichweite im Quick Commerce

Experten schätzen den Gesamtmarkt für Quick Commerce im Jahr 2022 in Deutschland auf 500 bis 700 Millionen EUR – weniger als ein Prozent des gesamten Umsatzes im Lebensmittelsektor. Etwa 0,8 bis 1 Million Nutzer nutzen die Lieferdienste. „Eine Herausforderung bleibt die Wirtschaftlichkeit des Modells“, sagt Jens von Wedel. „Kein Anbieter hat bislang eine flächendeckende Wirtschaftlichkeit erreicht.“ Flink hat jedoch schwarze Zahlen für Ende 2023 in Aussicht gestellt. Eine Hürde auf dem Weg in die Gewinnzone sieht von Wedel in der personalintensiven Zusammenstellung der Waren und der hohen Effizienz, die für die Auslieferung erforderlich ist. „Diese Effizienz scheint vor allem in stark verdichteten Innenstadtgebieten erreichbar zu sein“, sagt von Wedel. „Die Reichweite des Modells wird damit auf absehbare Zeit auf einen Teil der Bevölkerung beschränkt sein.“ In ländlichen Regionen gibt es kein wirtschaftliches Konzept für Quick Commerce. „Das wird sich vorerst nicht ändern – der Fokus der Anbieter liegt darauf, den Turnaround zu schaffen.“

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Angesichts der hohen Wettbewerbsintensität setzt die Konsolidierung des Q-Commerce-Markts fort. Die türkische Getir hat mittlerweile das Berliner Start-up Gorillas übernommen. „Es zeichnet sich ein Zweikampf mit Flink ab“, sagt von Wedel. Der Lebensmitteleinzelhändler Rewe hat sich ebenfalls im Juni 2021 an dem in Berlin ansässigen Unternehmen beteiligt. „Das zeigt, wie ernst man die Konkurrenz der schnellen Lieferdienste nimmt“, sagt von Wedel. Die Wachstumschancen gehen über den reinen Lebensmittelhandel hinaus: 78 Prozent der Befragten sehen Q-Commerce in Zukunft auch im Non-Food-Bereich als wichtigen Kanal.

Laut Thorsten de Boer, Partner bei Roland Berger, handelt es sich bei Quick Commerce nicht einfach nur um eine Steigerung des Service-Niveaus mit noch schnelleren Lieferzeiten, sondern um einen völlig neuen Kanal mit einem einzigartigen Geschäftsmodell. Quick Commerce richtet sich vor allem an Verbraucher, die spontan, zeitkritisch oder emotional einkaufen möchten. Das Geschäftsmodell konzentriert sich auf schnell drehende Konsumgüter mit hohen Margen. De Boer betont, dass Quick Commerce den klassischen Online-Handel nicht ersetzen, sondern ergänzen und sogar beflügeln wird.

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