E-Commerce, Market Insights | 14. März 2023

Bracketing –  der Online-Handel und sein Retourenproblem

Der Online-Handel in Deutschland boomt weiter. Vor allem beim Versand von Modeartikeln und deren Retourläufen aber befinden sich Plattformbetreiber in der Zwickmühle, denn die Rücksendequote stellt sowohl eine ökonomische wie ökologische Herausforderung für Handelnde dar. Und welche Rolle spielt das „Bracketing“ in diesen Fällen? von

Kommt nach „Flugscham“ und „Heizscham“ jetzt „Bestellscham“?

Lange Warteschlange an Kassen? Vorbei.  Rund um die Uhr bequem aus den eigenen vier Wänden zu bestellen, ist das neue Normal. Und wie praktisch, am besten bestellte man das begehrte Teil in mehreren Größen und Farben, was nicht gefällt, wird einfach zurückgeschickt. Dieses Kaufverhalten nennt man „Bracketing“. Beim sog. Bracketing (in etwa: buy and try) stellt es sich folgendermaßen dar:  die Kunden bestellen einen Artikel in verschiedenen Größen und Ausführungen. Dabei haben sie nicht vor, alle bestellten Produktvarianten zu behalten, sondern bestellen mit der Intention, nicht passende Größen oder Variationen an den Händler zurückzusenden.

Dank großzügiger und kundenfreundlicher Regelung, das Rückporto übernehmen Zalando, Amazon oder auch Otto, nur um drei der ganz Großen zu nennen, nehmen die Kunden diesen Service exzessiv in Anspruch.

Auf die Frage, wie man der nicht enden wollenden Flut von Bestellretouren künftig Herr werden wolle, antwortete ein hochrangiges Mitglied der Geschäftsführung bei einer der erfolgreichsten Plattformen für Mode lapidar:

„Die Customer-Journey auf unserer Plattform wird weiterhin eine außergewöhnliche User-Experience bleiben, auch wenn wir uns unserer Verantwortung stellen wollen!“

Was wie sperriges Marketingsprache klingt, könnte man, kritisch betrachtet, auch als ein „weiter so“ interpretieren. Doch gerade in Zeiten, in denen vorwiegend die Generation Z nach echten Nachhaltigkeitskonzepten verlangt, entwickelt sich das Thema Retouren für Online-Händler zur Achillesferse im E-Commerce.

Kommt nach „Flugscham“ und „Heizscham“ nun eine neue Welle namens „Bestellscham“? Was passiert eigentlich mit den Waren, die unbedacht bestellt wurden und den Weg zurück zum Anbieter finden? Wie nachhaltig sind diese Praktiken eigentlich?

© EHI.org

Plattformen und Stichwort Nachhaltigkeit – ein Oxymoron?

© François Le Nguyen / Unsplash

Eines der größten Probleme im Kontext der Rücksendung von Artikeln ist die hohe Verschwendung von Ressourcen und Energie. Durch den Transport und die Lagerung von zurückgeschickten Waren entsteht ein erheblicher CO₂-Ausstoß. Laut einer Studie des Instituts für Energie- und Umweltforschung (ifeu) in Heidelberg werden durch Retouren in Deutschland pro Jahr etwa 238.000 Tonnen CO₂ ausgestoßen – das entspricht dem jährlichen CO₂-Ausstoß von etwa 60.000 Autos. Klar, dass das den umweltbewussten Kunden nicht gefallen dürfte.

Aber Licht am Ende des Tunnels ist zu sehen – die Online-Modeplattform Zalando hat die Zeichen der Zeit erkannt und reagiert. Seit 2019 setzt das Unternehmen verstärkt auf nachhaltiges Retourenmanagement. Zum Beispiel werden zurückgegebene Waren nun in speziellen Sortierzentren aufbereitet, sortiert und bei Bedarf repariert. So können sie wieder zum Verkauf angeboten und müssen nicht entsorgt werden. Zalando hat außerdem ein Projekt namens „Pre-owned“ gestartet, bei dem gebrauchte Kleidungsstücke verkauft werden. Diese Maßnahmen zeigen, dass das Unternehmen darum bemüht ist, seine ökologische Bilanz zu verbessern. Immerhin, man bemüht sich.  Auch wenn das Unternehmen derzeit wegen eines Greenwashing-Skandals die Schlagzeilen beherrscht:

Zalandos Greenwashing-Skandal

© Zalando

Der Online-Modehändler Zalando ist unbestritten der größte seiner Art in Europa. Im Jahr 2021 verzeichnete das Unternehmen laut eigenen Angaben mehr als 250 Millionen Bestellungen – beeindruckende Zahlen, die jedoch einen negativen Aspekt mit sich bringen: Etwa die Hälfte dieser Bestellungen wird wieder zurückgeschickt. Fast 50 % Retouren!  Das bedeutet nicht nur logistische Herausforderungen, sondern auch eine erhebliche Belastung für die Umwelt. Zalando wirbt jedoch damit, eine nachhaltige Modeplattform zu werden, mit einer „netto-positiven Auswirkung auf Mensch und Erde“. So sollen auch Retouren und Lieferungen klimaneutral gestaltet werden.

Auf seiner Homepage gibt Zalando weiter an, dass 97 Prozent der retournierten Kleidungsstücke „nach entsprechender Prüfung sowie sorgfältiger Aufarbeitung wieder über den Zalando Shop verkauft“ werden. Der Rest wird entweder in Zalando Outlets oder in der Zalando Lounge verkauft oder an Organisationen gespendet. Lediglich weniger als 0,05 Prozent der Retouren werden laut Zalando „in Ausnahmefällen“ vernichtet, beispielsweise bei Schadstoffbelastung oder Schädlingsbefall. Doch hält Zalando tatsächlich dieses Versprechen?

Diese Frage hat das Team des SWR-Investigativformats VOLLBILD in einer Langzeit-Recherche untersucht. Im August 2022 bestellten VOLLBILD-Reporterinnen zehn Kleidungsstücke, in die sie GPS- und Bluetooth-Tracker einnähen ließen und anschließend an Zalando zurückschickten. Über Monate verfolgten sie die Routen der Tracker und fanden heraus: Die Retouren legen zum Teil sehr lange Wege kreuz und quer durch Europa zurück. Dies zeigt, dass die Logistik der Retouren keineswegs so nachhaltig ist, wie Zalando es auf seiner Homepage verspricht. Die Redaktion des ARD-Magazins Report-Mainz spricht sogar von einer Täuschung der Kunden!

Die Untersuchung des VOLLBILD-Teams verdeutlicht somit, dass es noch Verbesserungsbedarf bei der Nachhaltigkeit der Retouren-Logistik gibt. Ob Zalando diesen Verbesserungen tatsächlich nachgehen wird, bleibt abzuwarten. Klar ist jedoch, dass ein nachhaltiger Umgang mit Ressourcen und ein verantwortungsbewusstes Handeln in Zeiten des Klimawandels unerlässlich sind.

 „Grüne“ Produktlinie Aware: Betreibt Amazon Greenwashing?

© Amazon

Ein weiteres Beispiel ist der Online-Riese Amazon, der sich laut eigener Aussage das Ziel gesetzt hat, bis 2025 klimaneutral zu sein. In diesem Zusammenhang hat das Unternehmen verschiedene Maßnahmen ergriffen, um den CO₂-Ausstoß durch Retouren zu reduzieren. Amazon bietet etwa seinen Kunden an, Artikel im Rahmen des „Versand durch Amazon“ -Programms zurückzugeben. Hierbei werden die Artikel in speziell dafür vorgesehenen Behältern transportiert, die mehrmals wiederverwendet werden können. Zudem werden zurückgeschickte Artikel im Rahmen des „Amazon Renewed“ -Programms überprüft, repariert und wiederverkauft.

Dies hat jedoch Kritiker auf den Plan gerufen, die diese Maßnahmen als Greenwashing bezeichnen und darauf hinweisen, dass der Großteil der zurückgeschickten Waren immer noch entsorgt wird. Laut einer Studie der Universität Bamberg aus dem Jahr 2019 werden in Deutschland nur etwa 20 Prozent der zurückgeschickten Kleidungsstücke wiederverwendet oder repariert. Der Rest wird entweder vernichtet oder exportiert – oft in Länder, in denen die Umweltstandards deutlich niedriger sind als in Deutschland.

Nachhaltiges Retourenmanagement in der Verantwortung der Verbraucher

© Pexels

Es gibt also noch viel zu tun, um das Retourenmanagement nachhaltiger zu gestalten. Ein echter Anfang könnte sein, die Kunden dazu zu ermutigen, nur die Artikel zu bestellen, die sie wirklich benötigen und diese sorgfältig auszuwählen. Außerdem könnten Plattformen Anreize schaffen, um das Rückgabeverhalten ihrer Kunden zu ändern, zum Beispiel durch die Einführung von Gebühren für Retouren. Letztlich ist es jedoch auch wichtig, dass die Verantwortung für nachhaltiges Retourenmanagement nicht nur bei den Plattformen selbst liegt, sondern auch bei den Verbrauchern. Wenn jeder Einzelne bewusster mit seinen Einkäufen und Rücksendungen umgeht, kann gemeinsam ein wichtiger Beitrag zum Umweltschutz geleistet werden.

In diesem Sinne sollten Online-Shopper nicht nur auf eine schnelle und einfache Rücksendung achten, sondern auch das Thema Nachhaltigkeit in ihre Kaufentscheidungen einbeziehen. Dabei können verschiedene Aspekte berücksichtigt werden, wie die Materialqualität, die Produktionsbedingungen oder die Transportwege.

Insgesamt zeigt sich, dass das Thema Nachhaltigkeit im Retourenmanagement zunehmend in den Fokus rückt. Es gibt bereits erste positive Ansätze seitens der Plattformen, die jedoch noch weiter ausgebaut werden können. Auch Verbraucher haben hierbei eine wichtige Rolle zu spielen und können durch bewussteres Konsumverhalten dazu beitragen, den ökologischen Fußabdruck von Online-Shopping zu reduzieren.

Wie könnte die Retourenquote gesenkt werden?

© Adrian Sulyok / Unsplash

Obwohl die Händler auf ihren Plattformen bereits einige Maßnahmen ergriffen haben, um das Retourenproblem in den Griff zu bekommen, ist da noch deutlich Luft nach oben.

Weitere Maßnahmen, die Unternehmen ergreifen können, um die Anzahl der Retouren zu deutlich zu reduzieren, sind u.a.:

  • Verbesserte Produktbeschreibungen! Eine detaillierte Darstellung kann dazu beitragen, dass Kunden das richtige Produkt auswählen und damit weniger Retouren anfallen.
  • So trivial das klingen mag: Liefern, was tatsächlich gesucht wird. Gerade mit Produktbildern, die falsche Erwartungen wecken, steigen die Retouren. Der Lieferumfang sollte genauestens abgebildet sein, sowohl bezüglich der Farbvarianten und Anzahl der Produkte.
  • Nachhaltige Verpackung: Unternehmen können nachhaltige Verpackungen verwenden, um ihre Auswirkungen auf die Umwelt zu reduzieren.
  • Schnelles Fulfillment: Gerade lange Lieferzeiten oder nachträgliche Verzögerungen führen häufig dazu, dass Kunden stornieren und die Annahme oftmals bereits verschickte Waren verweigern.
  • Keine Gratis-Rücksendungen: Unternehmen können Retourengebühren einführen, um die Anzahl der Retouren zu reduzieren. Davor scheut man sich aber noch, zu sehr wird befürchtet, dass dies zu massiven Einbrüchen bei Bestellungen führen wird.

Die Rückgabe von Produkten stellt für Online-Händler nicht nur ein wachsendes Umweltproblem dar, sondern bedeutet zudem auch hohe Kosten. Deswegen haben einige Unternehmen bereits Strategien entwickelt, um diese Herausforderung zu bewältigen.

Das US-amerikanische Unternehmen Mysize hat etwa eine eigene Mess-Technologie entwickelt, mit der Kunden online besser passende Kleidung und Produkte finden sollen. Mittels künstlicher Intelligenz und Machine Learning wird hier die richtige Größe für jeden Kunden individuell bestimmt. Dadurch sollen Fehlkäufe, aber vor allem auch Bracketing vermieden und entsprechend Rücksendungen reduziert werden.

Das Modelabel Fashion Nova hingegen hat eine andere Strategie entwickelt, um Retouren zu reduzieren. Statt einer Rückerstattung bietet das Unternehmen seinen Kunden im Falle einer Rückgabe einen Gutschein für den eigenen Online-Shop an. Sie sollen dazu animiert werden, stattdessen andere Produkte zu bestellen, anstatt zurückzugeben. Dadurch sollen sowohl die Umwelt als auch das Unternehmen profitieren.

Diese beiden Beispiele zeigen, dass es Möglichkeiten gibt, die Anzahl der Retouren zu reduzieren und somit die Umweltbelastung zu verringern. Obwohl diese Strategien möglicherweise zu einem höheren Aufwand für die Unternehmen führen, können sie sich langfristig als lohnend erweisen und dazu beitragen, dass Online-Shopping nachhaltiger wird.

Wie werden sich in Zukunft Retouren im E-Commerce entwickeln?

© Drew Beamer / Unsplash

Ein Blick in die Kristallkugel ist nicht nötig, um eine Tendenz für die nahe Zukunft vorauszusagen, denn eins ist klar:

Retouren gehören heutzutage zum Online-Shopping einfach dazu. Doch was passiert eigentlich mit den zurückgeschickten Produkten und wie beeinflussen sie die Umwelt? Der CEO von ZigZag, Al Gerrie, gibt hierzu interessante Einblicke:

Laut Gerrie berücksichtigen fast die Hälfte der Käufer (48 Prozent) mittlerweile die Umweltauswirkungen von Rücksendungen und versuchen, weniger zurückzuschicken. Auch 42 Prozent der Verbraucher würden weniger Produkte zurückgeben, wenn sie wüssten, dass diese im Müll landen. Das Bewusstsein für eine nachhaltigere Welt wächst also immer mehr.

Doch wie können Händler den Wünschen ihrer Kunden gerecht werden und gleichzeitig die Umweltauswirkungen von Retouren reduzieren? Laut Gerrie müssen sie hierfür ihre Kunden besser informieren und ihnen mehr Flexibilität und Optionen für nachhaltige Retouren bieten. Ein Beispiel hierfür sind papierlose Retouren-Lösungen mit QR-Code.

Allerdings gibt es einen Aspekt, bei dem Kunden keine Kompromisse eingehen möchten: die Kosten. Laut Gerrie würden 41 Prozent der Kunden für eine nachhaltigere Rückgabe nicht mehr bezahlen wollen. Für Händler ist dies eine echte Herausforderung, wenn sie gleichzeitig die Umweltauswirkungen reduzieren und ihre Kunden halten oder deren Zahl steigern wollen.

Die Zeiten, in denen Umweltschutz und Kommerzialisierung nicht miteinander vereinbar waren, sind längst vorbei. Händler müssen heute mehr denn je ihre Verantwortung für die Umwelt wahrnehmen und ihren Kunden nachhaltige Lösungen anbieten. Nur so können sie langfristig erfolgreich sein und gleichzeitig zum Schutz unseres Planeten beitragen.

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